Brief von Fritz von Uhde an Julie Elias, 22.3.1904
Angefertigt im Rahmen des Seminars „Pelzstehkragen und Bœuf à la mode. Die Berliner
Modejournalistin, Buchautorin und Salonnière Julie Elias (1866-1943)“ der Universität
Potsdam und der Staatsbibliothek zu Berlin 2023
Veröffentlicht unter CC0 1.0 Universal
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Berlin
Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Nachlass Julius Elias, Kasten 4, Mappe 194
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J. Elias
Grunewald –
22. 3. 1904
Sehr verehrte gnädige Frau!
Vielen Dank für die liebens-
würdige Übersendung Ihres so inter-
essanten
Artikels!
Meiner Ansicht nach will die Herren-
welt (und das ist doch am Ende
das
maßgebende Moment) die Frauen-
figur möglichst durch die Kleidung
h͟e͟r͟v͟o͟r͟g͟e͟h͟o͟b͟e͟n͟ – in günstiger Weise
erkennbar oder errathbar –
sehen.
Die g͟u͟t͟e͟ Figur soll sich auf den ersten
Blick von der hässlichen,
unschönen oder
fehlerhaften unterscheiden.
Deshalb ist die Herrenwelt so
scharf
im Urtheil über alle diejenigen Moden,
welche wie z. B. die Krinoline,
der Reif-
rock oder die hoch hinauf fest geschnürte
Taille die weibliche Figur
völlig unkennt-
lich machen oder geradezu entstellen.
Das moderne niedrige
Corset oder
Mieder trägt diesem Anspruch weitgehende
Rechnung, es lässt die
Figur natürlich
und, wenn Sie wollen, üppig erscheinen,
es zwängt die Hüfte
nicht ein etc.
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Deshalb hat die „R͟e͟f͟o͟r͟m͟”mode jetzt gerade
einen recht ungünstigen
Zeitpunkt für ihre
Concurrenz-
Bestrebungen gewählt. Wie Sie so richtig
sagen, hat die Reform im wesentlichen das
Modell „S͟c͟h͟l͟a͟f͟r͟o͟c͟k͟” und es
ist charakteristisch,
dass mit Vorliebe Damen sich der Reform
zuwenden, welche
irgendwie eine ungünstige
oder fehlerhafte Figur haben. Das Soldaten-
auge
sieht gerade hierin scharf – wie viele
s͟c͟h͟i͟e͟f͟e͟ Schultern und besonders
Hüften giebt
es – wie oft ist der Oberkörper zu kurz,
der Halsansatz mit
Schultern in hässlicher
Linie, gar nicht zu reden von zu großer Fülle
oder dem
Gegentheil. Natürlich hüllen sich
Figuren mit derartigem Fehler gern in ein
sack- oder schlauchartiges Gewand.
Bei Abend
sind alle Katzen grau – u͟n͟t͟e͟r͟ dem Schlafrock
kann man sich
Alles denken. Das entspricht
aber nun und nimmer dem Anspruch des Herren-
Geschmacks. Dazu kom̅t, dass doch die Hüften
viel geeigneter sind, die Last
der Bekleidung
des Unterkörpers zu tragen, als die Schultern,
und indirekt die
Brust, wie es bei vielen
Reformkostümen der Fall ist, wo es dem
Auge so
scheint (oder auch wirklich ist?), dass das
Kleid bis incl. Schleppe auf den
Schultern
h͟ä͟n͟g͟t͟.
Wenn Fräulein Oppler Kostüme
J. Elias
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erfindet, welche die weibliche Figur
in ihren Formen und
Linien vortheilhaft
und schön erkennen lässt, wird sie im̅er
ein Verdienst
haben – aber ich fürchte,
es wird in Wirklichkeit wenig von d͟e͟m͟
übrig
bleiben, was – wenigstens ursprüng-
lich – „Reform” genannt wurde. Deshalb
stimme ich ganz mit Ihrer Schlussfolgerung
überein, dass die Modekönige an der
Seine
sich nicht so leicht dazu bekehren werden.
So lange H͟e͟r͟r͟e͟n͟ die
Damenmoden beein-
flussen, werden sie für immer daran denken,
dass nur das
dasjenige Kostüm wirklich schön ist,
welches das Geschenk der Schöpfung – den
weiblichen Körper – in möglichst
vollkom-
mener, sagen Sie idealer Schönheit zur
Geltung bringt. Und das thut
die R͟e͟f͟o͟r͟m͟
bisher absolut nicht; jedenfalls weniger als das
Mieder.
Verzeihen Sie, meine Gnädige, diese
lange Epistel. Sie sind selbst Schuld
daran
durch Ihre interessanten Ausführungen.
Aber habe ich nicht auch etwas
das Richtige
getroffen??
Mit herzlicher Empfehlung
Ihr
ganz
ergebener
v.Uhde